Posted by on 5. September 2012

Ein vergessenes Pilotprojekt der Industrialisierung des Ruhrgebiets steht in Sprockhövel – Vor 170 Jahren wurde die Haßlinghauser Hütte gegründet.

Westdeutsche Zeitung, Sonderveröffentlichung Haßlinghausen

Spekulationsobjekt mit modernster Technik.


Von Horst Dieter Konrad

Am 17. Juli 1855 wurde die staatliche Konzession für die Hochofenanlage „Haßlinghauser Hütte“ gewährt. Am südlichsten Rand des Ruhrgebietes entstand ein in vielfacher Hinsicht außergewöhnliches Projekt des „take-off“ der Industrialisierung des Ruhrgebietes.

Die Gründung der Haßlinghauser Hütte fand vor dem Hintergrund eines Wirtschaftsaufschwungs in Deutschland statt, der 1852/53 eingesetzt hatte und die Industrialisierung rasant beschleunigte. Der Beginn der Industrialisierung in Rheinland-Westfalen war gekennzeichnet durch das schon Mitte des 19. Jahrhunderts beachtlich entwickelte Eisenbahnnetz und einen durch die Bevölkerungszunahme wachsenden Eisenbedarf. Damit einher ging eine steigende Bereitschaft zur Kapitalanlage in der aufzubauenden Montanindustrie.

Es entstand eine Anzahl von Hüttenwerken, so im Jahre 1852 der „Hörder Bergwerks- und Hüttenverein“ in (Dortmund-)Hörde und der „Bergwerksverein Friedrich Wilhelms-Hütte“ in Mülheim an der Ruhr, 1853 der „Phoenix, Anonyme Gesellschaft für Bergbau und Hüttenbetrieb“ mit den Hochofenwerken in (Duisburg-) Laar und (Essen-) Kupferdreh und 1854 die Henrichshütte in Bruch bei Hattingen. Während die erstgenannten Unternehmen als Aktiengesellschaften gegründet wurden, entstand die Henrichshütte als Einzelkapitalgründung der Harzer Großgrundbesitzerfamilie Stolberg-Wernigerode. Bereits 1857 wurde dieses Unternehmen wegen Kapitalmangels an die Berliner Discontogesellschaft, eine der größten Banken der Zeit, verkauft.

Die Haßlinghauser Hütte dagegen firmierte zunächst als „Gewerkschaft v. Born, Lehrkind & Co“, keine von anonymen Kapitalgebern konzipierte Großunternehmung, sondern ein persönlichkeitsbezogener, eher mittelständischer Betrieb, der im November 1855 den ersten Hochofen in Haßlinghausen fertig stellte. Der Lüner Grundbesitzer und Kaufmann Wilhelm von Born war bis dato nur spekulativ an der Industrialisierung des Ruhrgebiets beteiligt gewesen. Der Hüttengründer Gustav Lehrkind aus (Hagen-) Haspe jedoch war in Fachkreisen kein unbeschriebenes Blatt; er hatte bereits maßgeblich an Verfahren zur Eisenveredlung mitgewirkt und internationale Reputation erfahren. Sein Hasper Betrieb (Falkenroth, Lehrkind & Co.) hatte 1851 auf der Weltausstellung in London den Ersten Preis für das in seinem Betrieb entwickelte „Puddelstahl“-Verfahren erhalten.

Bei keiner anderen Hüttenwerksgründung der 1850er Jahre im Ruhrgebiet waren – von der Verkehrsanbindung durch die Eisenbahn abgesehen – die Standortbedingungen derart exzellent wie in Haßlinghausen. Anfang der 1850er Jahre waren im Raum zwischen Hattingen und Haßlinghausen ergiebige Erzlager zwischen den Steinkohlenflözen entdeckt worden. Die Verhältnisse ähnelten denen des damals global bedeutendsten Montanreviers in Südschottland, dessen Produktionsbedingungen märchenhaft waren und den Kapitalanlegern extraordinäre Profite verschafft hatten. Kohle und Erz konnte auf dem Haßlinghauser Hüttengelände zu Tage gefördert werden. Der Kalk wurde in den ca. 3 km entfernten Linderhauser Steinbrüchen gewonnen. Allerdings – im Gründerhype der 1850er Jahre sollte dieser Aspekt jedoch zunächst keine Rolle spielen – stand die Haßlinghauser Hütte im Gegensatz zu allen anderen industriellen Hüttenwerken nicht in unmittelbarer Nähe eines Gewässers, sondern an der Flanke eines Höhenrückens und es konnte, wie sich zeigen sollte, der enorme Wasserverbrauch eines oder gar mehrerer Hochöfen und dazu der Koksherstellung kaum gestillt werden. Schon gar nicht war an die Anlage von Weiterverarbeitungsstufen mit einem hohen Wasserbedarf wie dem eines Walzwerks zu denken, was allerdings für eine langfristige Perspektive eine unabdingbare Voraussetzung gewesen wäre.

Um es vorweg zu sagen: Dies erklärt entscheidend, warum dieses Hüttenwerk lediglich 19 Jahre in Betrieb blieb.


Die Relikte der Haßlinghauser Hütte heute: Brunnenhaus, Kesselhaus und rechts das Haus für die Kettenaufzugsmaschine (Stadtarchiv Sprockhövel)

Im März 1856 gründeten die Eigentümer der Haßlinghauser Hütte den „Berg- und Hütten-Aktien-Verein Neuschottland“ mit Sitz in Dortmund, dem Zentrum des östlichen Ruhrreviers. Mit der Namensgebung der Aktiengesellschaft wurden Erwartungen an die Gewinnmargen in der schottischen Montanindustrie geweckt. Nur so lässt sich erklären, dass wenige Tage nach der Emission sämtliche Aktien im Wert von zwei Millionen Talern gezeichnet waren, ohne dass der Hochofen dieses Betriebes angeblasen gewesen wäre, weniger: In Haßlinghausen existierte zu diesem Zeitpunkt lediglich eine halb fertige Betriebsbaustelle. Auch die von der Familie Harkort erworbenen Eisensteinfelder waren noch nicht bezahlt. Dennoch gingen die Aktien von Neuschottland an der Berliner Börse weg wie die berühmten warmen Semmeln. Eine außergewöhnliche Profiterwartung mobilisierte – erstmals in der noch jungen Geschichte der Ruhrindustrialisierung – über den Tellerrand Rheinland-Westfalens hinaus Kapitalgeber aus dem gesamten Gebiet des deutschen Zollvereins, in erster Linie ostelbische Junker, Berliner Rentiers und wenig später das Finanzkapital aus dem Raum Frankfurt-Darmstadt: Anleger, die in ihrer Euphorie den Betreibern der Haßlinghauser Hütte ihr Geld geradezu leichtgläubig anvertrauten.

Aber es waren nicht nur die natürlichen Bedingungen, die exorbitante Gewinne versprachen. Mit dem im Mai 1856 in Betrieb genommenen ersten Hochofen in Haßlinghausen war der modernste seiner Art, weil speziell auf die Bedürfnisse der Kohleneisensteinverhüttung abgestimmt, entstanden. Die Haßlinghauser Hochofenanlage war die einzige Kontinentaleuropas, auf der ausschließlich diese Erzvarietät verarbeitet werden sollte. Auf den Erfahrungen aufbauend, die mit der Verhüttung des verwandten Erzes Schottlands (blackband) gemacht worden waren, konstruierten Hermann Stahlschmidt, aus einer alten Siegerländer Stahlgewerkenfamilie stammend und gleichfalls erster Direktor der Haßlinghauser Hütte, und der Hasper Ingenieur Fritz Schmidt einen Hochofen, der beinahe alle über Jahrhunderte geltenden Standards in Frage stellte.


Planzeichnung des Haßlinghauser Hochofens (H.D. Konrad)

Augenfällig war, dass man den üblichen dickwandigen steinernen Schachtmantel, allen Bedenken der übrigen Fachwelt zum Trotz, durch eine dünnwandige Blechumkleidung ersetzt hatte. Man gab sich also auch hier „schottisch“, elegant in Eisen gekleidet. Der Hochofen der Moderne war geboren; mit den weiteren Konstruktionsmerkmalen des weiten und freistehenden, lediglich von Gußeisensäulen umgebenen Gestells, des Hochofenschmelzraums, und einer deutlich vermehrten Anzahl von Windformen wies die Konstruktion, auch hinsichtlich ihrer Produktivität, noch über die Schottlands hinaus. Der mit heutigen Worten als modulare Leichtbaukonstruktion zu bezeichnende Ofen, die gesamte Anlage in Haßlinghausen provozierten aufgrund ihrer Innovativität ein öffentliches und fachliches Interesse in den einschlägigen Periodika und der Fachliteratur, das keinem anderen montanindustriellen Projekt in der industriellen Startup-Phase zuteil wurde. „Haßlinghausen“ war zu dieser Zeit in den Kolumnen der überregionalen Zeitungen zu einem Synonym für Fortschrittlichkeit geworden.

Erstmals auf dem europäischen Kontinent hatte man mit den herrschenden Konventionen gebrochen und damit das Prinzip des großtechnischen Hochofenbaus vorformuliert: Der Haßlinghauser Ofen 1 war das Präzedenzprojekt des Hüttenwesens Mitte des 19. Jahrhunderts.

Es sei daran erinnert, dass in den 1850er Jahren die Arbeit in den Hüttenwerken noch weitestgehend von der Empirie und – wenn überhaupt – nur ansatzweise durch eine objektive wissenschaftliche Steuerung der Produktionsprozesse bestimmt war. Man kannte zwar das System der Phänomene, das Wesen der Systemelemente und deren Interdependenzen jedoch, also das „Warum“, noch nicht. Deshalb war in dieser Zeit die „Qualität der Subjekte“, ihr Einfallsreichtum und Improvisationsvermögen ein viel bedeutsamerer Faktor der Innovation als in späteren Zeiten der formalisierten wissenschaftlichen Produktionsentwicklung und -lenkung.

Gleich drei Protagonisten aus der Pionierzeit des modernen Hüttenwesens haben in Haßlinghausen gewirkt. Ihre Leistungen waren über das eng Fachliche hinaus bedeutende Beiträge zur Entwicklung der technischen Zivilisation. Neben den erwähnten Hermann Stahlschmidt (1823-1865) traten Fritz Wilhelm Lürmann (1834-1919) und Gustav Hilgenstock (1844-1913). Allein diese bedeutenden Persönlichkeiten der Technikgeschichte machen ihre Wirkungsstätte, die Haßlinghauser Hütte, zu einem Kristallisationspunkt der Industriegeschichte nicht nur des Ruhrgebiets.

Teil 2


Führende Köpfe kamen aus Haßlinghausen.
Drei Männer trugen wesentlich zur Entwicklung der neuen industriellen Techniken bei.

Hermann Stahlschmidt war zu seiner Zeit ein weit über die Grenzen Rheinland-Westfalens hinaus geachteter Fachmann des Eisenhüttenwesens, geriet jedoch bald in völlige Vergessenheit. Er zeichnete nicht nur für den Bau des bahnbrechenden Hochofens verantwortlich, sondern machte die gesamte Hochofenlage in Haßlinghausen zu einem „High-end-Ensemble“. Zu den wichtigsten Elementen eines Hüttenwerkes gehören immer die Einrichtungen zur Heißwinderzeugung. Damals galten „schottische Pistolenapparate“, die ursprünglich in Haßlinghausen eingesetzt worden waren, als das Nonplusultra. Diese ersetzte Stahlschmidt jedoch bald durch eine Eigenkonstruktion, die sich aufgrund ihrer geringeren Störanfälligkeit überlegen zeigte und als so genannte „Westfälische Apparate“ auch auf anderen Werken rasche Verbreitung fanden. Neben anderen durch ihn veranlasste Neuerungen, die nicht nur in Haßlinghausen zur Anwendung kamen, fanden auch seine theoretischen Beiträge, die er aufgrund seiner Experimente im Haßlinghauser Hochofenbetrieb verfasste, über die Grenzen des Zollvereins hinaus große Beachtung. Im Jahr 1858 wurde Stahlschmidt zum Leitenden Direktor des mit ca. 2500 Beschäftigten damals größten deutschen Montanunternehmens, des „Hörder Vereins“ in (Dortmund-) Hörde berufen, den er im Jahr 1861 wieder verließ.

Nach 6 Jahren Wirken als einer der Avantgardisten der deutschen Industrialisierung entschloss er sich, trotz der bis dahin glänzenden Karriere der modernen Großindustrie den Rücken zu kehren und sich wieder in die vermeintliche Idylle der ihm vertrauten Umgebung zu begeben, mit anderen Worten: „auszusteigen“. Er übernahm den Jahrhunderte alten väterlichen Kleinstbetrieb, einen Stahlhammer im nördlichen Siegerland. Im Alter von 42 Jahren hat Hermann Stahlschmidt 1865 Selbstmord begangen. Über die Gründe für diese Tragödie lässt sich letztendlich nur spekulieren. Die teilweise veröffentlichten Lebenserinnerungen seines Vaters jedoch machen deutlich, dass schon in der „guten alten Zeit“ die Lebensanforderung des modernen Industriekapitalismus auch für einen der Privilegierten tiefgreifende Verwerfung und Deformation, also existenzbedrohende Krise, sein konnte: Schon bald nach Arbeitsantritt in Haßlinghausen befielen Hermann Stahlschmidt Depressionen, die der Vater auf andauernde Arbeitsüberlastung und Erschöpfung beim Aufbau des Hüttenwerks zurückführte. Erst nach einem wochenlangen Aufenthalt in einem Sanatorium waren die Symptome dessen, was man heutzutage ein „burn-out-Syndrom“ nennen würde, überwunden, so dass Hermann Stahlschmidt seine Arbeit in Haßlinghausen fortsetzen konnte. Diese zu seiner Haßlinghauser Zeit erstmals offen zu Tage getretene psychische Disposition muß sein Leben bestimmt haben. Man kann vermuten, dass er sich mit der Leitung des altindustriellen Montanbetriebes unter den Bedingungen der mörderischen Konkurrenz der modernen Großindustrie überfordert sah. Kurze Zeit nach seinem Tod geriet der Betrieb in Konkurs.


Das ehemalige Direktorenwohnhaus der Hütte an der Mittelstraße 52. Hier wohnte Hermann Stahlschmidt nach seiner Rückkehr aus dem Sanatorium mit seiner Familie seit Herbst 1855. (Foto: Konrad)


Fritz Lürmann

Fritz Wilhelm Lürmann, einer der bedeutendsten und einflussreichsten Industriepioniere des 19. Jahrhunderts, begann seine Laufbahn als 21jähriger in Haßlinghausen. Auf Empfehlung hoher preußischer Beamter wurde er als Chemiker, ein zur damaligen Zeit an Hochofenwerken eher ungewöhnliches Arbeitsfeld, angestellt. Der Umstand, dass der blutjunge Absolvent des Berliner Gewerbeinstituts von Hermann Stahlschmidt auch an den wegweisenden Innovationen der Haßlinghauser Anlage – sowohl am Bau des Hochofens als auch an der Konzeptionalisierung der neuartigen Winderhitzungsanlage – verantwortlich beteiligt wurde, wird sicher prägend für sein weiteres Wirken gewesen sein. Noch im hohen Alter von 85 Jahren, nach einer kaum vergleichbaren Karriere, erinnerte er sich in seiner „Lebensbeschreibung“ mit erkennbarem Stolz daran, dass man ihn, den 22jährigen Neuling, zur Erkundung des Entwicklungsstandes der französischen und belgischen Winderhitzungseinrichtungen auf Dienstreise geschickt hatte.

Es ist hier unmöglich, auch nur andeutungsweise dem Umfang und der Vielfalt seines Wirkens gerecht zu werden. Seine bedeutendste Erfindung, die so genannte „Schlackenform“, machte er 1867 auf der Hochofenanlage der Georgsmarienhütte, zu deren Leiter er, 23jährig(!), kurzerhand berufen worden war, nachdem er den Verantwortlichen aus Osnabrück bei einem Rundgang in wohl beeindruckender Weise die Haßlinghauser Hochofenanlage erläutert hatte.

Mit einer höchst einfachen aber umso genialeren Veränderung der Hochofenkonstruktion revolutionierte Lürmann die gesamte Hüttentechnik. Durch eine im oberen Bereich des Hochofenschmelzraums, des Gestells, angebrachte wassergekühlte Röhre wurde die Hochofenschlacke, Träger der bei der Roheisenerzeugung entstehenden Nebenbestandteile, nun kontinuierlich abgeleitet. Bis dahin war das in höchst gefahrvoller Handarbeit bei Unterbrechung des Hochofenprozesses geschehen. Hatte die kühne Konstruktion des 1. Haßlinghauser Hochofens, wie dargelegt, die großtechnische Roheisenerzeugung vorbereitet, so war mit dieser Erfindung der Durchbruch gelungen. Weltweit und ausnahmslos setzte sich diese Erfindung innerhalb kürzester Zeit durch. Waren bisher Kapazitätserweiterungen das Resultat mühsamer Kleinschritte gewesen, so war nun quasi über Nacht eine Verdopplung der Tageserzeugung eines Hochofens möglich geworden. Revolutioniert wurde aber nicht nur die Produktionstechnik, sondern wie keine andere industrielle Erfindung des 19. Jahrhunderts veränderte die Lürmannsche „Schlackenform“ auch die Arbeitsbedingungen und Beschäftigungsstrukturen. Wir werden anderer Stelle darauf zurückkommen.

Beinahe hätte Lürmann seine Erfindung als Leiter des Hochofenbetriebes in Haßlinghausen gemacht. Er schlug jedoch 1865 ein erneutes Stellungsangebot aus. Nachdem er 1873 die Georgsmarienhütte verlassen hatte, wurde Lürmann zu einem wahrhaften „global player“: Er plante und konstruierte weltweit Hochofenanlagen und –einrichtungen: Von Hattingen, hier die neue Hochofenanlage der Henrichshütte (1904), bis nach Japan, dort das Hochofenwerk Yawatamura.


Gustav Hilgenstock

Gustav Hilgenstock, Sohn des Fahrsteigers Rudolf Hilgenstock aus Sprockhövel-Heimbeck, wurde 1872 in erster Anstellung nicht, wie im Nachruf der Sprockhöveler Zeitung 1913 zu lesen, Direktor der Haßlinghauser Hütte – dies war zu diesem Zeitpunkt Heinrich Jaeger – sondern technischer Leiter der Hochöfen. Aufgrund seiner dort erworbenen Fähigkeiten wechselte Hilgenstock 1873 zum „Hörder Verein“, auf dessen Hochofenlage auch Kohleneisenstein verhüttet wurde. Doch nicht dies, sondern seine maßgebliche Beteiligung an der Einführung und Durchsetzung des ersten tatsächlich großindustriellen Stahlgewinnungsverfahrens, des Thomasverfahrens, begründet seine Bedeutung in der Technikgeschichte.

Hilgenstocks Nachweis, dass die Entphosphorung des Eisens, eines der Kardinalprobleme der Qualitätseisenerzeugung, über das von ihm entdeckte vierbasische Kalkphosphat (Ca4 P2 O9) verläuft (1883), markiert den Zeitpunkt des endgültigen Einzugs der Wissenschaft in den damals führenden Industriesektor, das Hüttenwesen und damit in den industriellen Produktionsprozeß überhaupt. In Anerkennung seiner Verdienste wurde das von ihm entdeckte Mineral als „Hilgenstockit“ (engl.: „Hilgenstockite“, span.: „Hilgenstockita“) benannt. Um wieder den Bezug zu den naturgegebenen Grundlagen der Haßlinghauser Hütte herzustellen, sei erwähnt, dass mit Durchsetzung des Thomasverfahrens zu Ende des 19. Jahrhunderts im heutigen Stadtgebiet Sprockhövels der Bergbau auf den phosphorreichen Kohleneisenstein, der mit Schließung der Haßlinghauser Hütte 1875 eingestellt worden war, noch einmal für einige Jahre aufgenommen wurde.

Obwohl seit Mitte der 1970er Jahre das Thomasverfahren durch verbesserte Stahlgewinnungsverfahren abgelöst worden ist und keine Rolle mehr spielt – lediglich in der Diskussion um umgeknickte Strommasten als Ursache der mehrtägigen Stromausfälle im Münsterland sind Thomasstahlprodukte als solche nochmals ins öffentliche Bewusstsein geraten – hat die Entdeckung Hilgenstocks, wie der freundliche Hinweis der promovierten Chemikerin Simone Hoppmann veranschaulicht, bis heute ihren Platz in Industrie und Wissenschaft behaupten können: „Hilgenstockit“ ist ein wesentlicher Grundstoff unter anderem bei der Herstellung künstlicher Knochen.

Teil 3


In der räumlichen Enge war Integration ein Muss.
Von Gustav Hilgenstock und ärmlichen Lebensverhältnissen.

Darüber, dass Gustav Hilgenstock als technischer Leiter zu den führenden Köpfen der Haßlinghauser Hütte gehört hatte, haben wir in der vergangenen Folge berichtet. Der Sprockhöveler war aber nicht nur als Hüttenfachmann maßgeblich an der deutschen Industrialisierung beteiligt. 1893 wurde er Geschäftsführer der Dr. C. Otto & Comp. in (Bochum-) Dahlhausen, dem führenden Unternehmen der aufkommenden kohlechemischen Industrie. Über die Gründe des späten Wechsels in ein fremdes Metier – immerhin war Hilgenstock beinahe 50 Jahre alt – kann man nur Mutmaßungen anstellen. Tatsache ist, dies weisen noch vorhandene Gehaltslisten aus, dass Gustav Hilgenstocks Einkommen trotz seiner unstrittigen Verdienste eher durchschnittlich blieb. 1879 hatte sich der Hörder Verein die Patentrechte am Thomasverfahren gesichert. Gerade auch aufgrund der Arbeit Hilgenstocks war, wie bereits dargestellt, dieses Stahlproduktionsverfahren zum weltweit führenden geworden. Die Patentrechte sicherten dem Hörder Verein optimale Renditen, seinem älteren Bruder Daniel (1832-1894), von 1880 – 1891 im Direktorium des Hörder Vereins, aufgrund eines geschickten Arbeitsvertrags neben einem gegenüber dem seines Bruders Gustav vielfach höheren Gehalt auch eine vermögensbildende Provision. Dies gewährte Daniel Hilgenstock auch nach seiner plötzlichen Entlassung wegen Korruption einen komfortablen Lebensabend im noblen Wiesbaden.

Auch in Dahlhausen gelang es Gustav Hilgenstock, sowohl technologisch als auch organisatorisch, Akzente zu setzen. Er zeichnete für Weiterentwicklungen in der Koksofentechnik ebenso verantwortlich wie für den Aufbau einer leistungsfähigen kohlechemischen Industrie. Weitgehend unbekannt ist, dass man ihn als den Vater der Aral AG bezeichnen kann. Auf seine Initiative hin wurde 1898 der unmittelbare Vorläuferbetrieb, die „Westdeutsche Benzol-Verkaufs-Vereinigung“ ins Leben gerufen. Haßlinghausen wurde unter seiner Regie Anfang des 20. Jahrhunderts noch einmal zu einem Standort wegweisender technologischer Entwicklung. Er ließ 1904 für die Dr. C. Otto & Comp. eine nach neuesten Erkenntnissen konzipierte Anlage der Kohlenebenproduktgewinnung in unmittelbarer Nachbarschaft der Zeche Deutschland errichten. Die Gaststätte „Zur Alten Kohlenbahn“ der Fam. Marcus, an der ehem. Bahnlinie Schee-Silschede gelegen, markiert den Standort der gelegentlich, jedoch fälschlich als Kokerei der Zeche Deutschland bezeichnete Chemieanlage.


Gustav Hilgenstocks Grabstein auf dem evangelischen Friedhof in Niedersprockhövel, Reihe G, Nummer 103: Vor Ort die einzige Erinnerung an einen bedeutenden, dennoch in seiner Heimat weitgehend unbekannten Sprockhöveler. (Foto: Konrad)

Die Geschichte der Haßlinghauser Hütte wurde jedoch nicht nur von herausragenden Persönlichkeiten geprägt, deren Wirken das Industriezeitalter begründete. Es war auch die Zeit tiefgreifender sozialer und kultureller Umwälzungen, die von den „einfachen“ Menschen getragen wurden.

Migration ist das Stichwort. Bis in die 1860er Jahre hinein bildeten belgische Arbeiter, Wallonen aus der Umgebung Lüttichs (Liege) in Haßlinghausen das Rückgrat der Arbeit an den Hochöfen und Koksbatterien. Aufgrund einer glücklichen Aktenlage ist es möglich, sogar Namen zu nennen: Jacob Gaudy hieß der Meister der vermutlich zwölf Schmelzer an den beiden Hochöfen, der Meister an den Koksöfen war Louis Pothier. Französisch dürfte für lange Jahre an den Öfen die „Amtssprache“ gewesen sein. Neben diesen beiden konnten bisher noch acht weitere frankophone Namen ausfindig gemacht werden. Wallonische Kinder besuchten, wie aus Schulakten ersichtlich, die Elementarschulen in Haßlinghausen, sie saßen beispielsweise neben Siegerländern, Hessen, Württembergern und eben den „Einheimischen“. Die Haßlinghauser Hütte war aber trotz der Menschen unterschiedlicher Herkunft kein Fremdkörper im gesellschaftlichen Leben Sprockhövels. Etwa die Hälfte der Belegschaft rekrutierte sich aus Familien, die bereits lange vor Gründung der Hütte in den Ämtern Haßlinghausen und Sprockhövel ansässig gewesen waren. Auch die „Zugereisten“ hatten sich in der Regel bereits lange vorher, wie aus Einbürgerungsunterlagen hervorgeht, in der näheren Umgebung niedergelassen, hauptsächlich im Wuppertal. Die bedrückenden und menschenunwürdigen Lebens- und Arbeitsverhältnisse jener Jahre dort sind Legende. Wem es möglich war, dem zu entfliehen, der tat es. Die Hoffnungen dieser mit Gründung der Haßlinghauser Hütte in das Amt Eingewanderten auf ein besseres Leben dürften jedoch bald enttäuscht worden sein: Es wurden Löhne gezahlt, die kaum das Existenzminimum deckten, vor allem, wenn eine Familie zu ernähren war: Die Geschäftsführung der Neuschottland AG rühmte sich der außerordentlich niedrigen Löhne wegen gegenüber den Aktionären. Die Arbeiter waren in ihren 12-Stundenschichten in permanenter Unfallgefahr; ständig Wind und Wetter ausgesetzt, von Erkrankungen durch die giftigen Abgase aus Hochöfen und Koksbatterien bedroht und litten schließlich unter Wohnverhältnissen, die nach den Darstellungen Hermann Stahlschmidts nur als katastrophal zu bezeichnen sind.


Die von der AG Neuschottland in den Jahren 1855 bis 1861 errichtete Werkssiedlung der Haßlinghauser Hütte, aufgenommen um 1900. Bis zu 200 Menschen waren ehemals darin untergebracht. (Foto: Stadtarchiv)


Das Ensemble der Wohnhäuser ist bis heute im Wesentlichen erhalten und liegt in zweiter und dritter Reihe der Mittelstraße (aufgenommen vom Dachboden des Hauses Mittelstraße 48). (Foto: Konrad)

In der nur wenige Häuser umfassenden Werkssiedlung der Hütte dürften bis zu 200 Menschen gewohnt haben. Aber nicht nur in dieser „Kolonie“ herrschte Enge. Wie aus amtlichen Berichten jener Jahre ersichtlich, waren auch in anderen Häusern des Amtes Belegungen bis zu 18 Menschen in Zwei-Raum-Wohnungen keine Seltenheit.

„Integration“ war unter diesen Bedingungen keine Floskel, sondern eine beinahe zwangsläufige Notwendigkeit. Aus den Kirchenarchiven werden etwa 20 Heiraten zwischen einheimischen Frauen und Hüttenbeschäftigten, auch über Konfessionsgrenzen hinweg, ersichtlich. Besonders bemerkenswert ist die Eheschließung zwischen der 21jährigen Protestantin Dina Westen aus Obersprockhövel und dem 29jährigen katholischen Wallonen Francois Pirotte aus der Nähe Lüttichs am 22.11.1863.

Was die beiden zusammengeführt hat, kann niemand mehr sagen. Folgender, nicht ganz ernst gemeinter Erklärungsversuch sei dennoch erlaubt: Der Bruder Dinas, Gustav Westen, war als Schmelzer am Hochofen unmittelbarer Nachbar des Gießers Francois Pirotte. Gießer waren für die Herstellung von Belegplatten zuständig. Proben, so die glaubhafte Erinnerung Friedrich Langes 50 Jahre später – er war als Chemiker 1859 Nachfolger Fritz Lürmanns geworden – nahmen die Gießer mit bloßen Händen aus der flüssigen Roheisenmasse, um deren Fließverhalten bestimmen zu können. Vielleicht hat Francois Dinas Herz als wagemutiger Prometheus gewinnen können.

Teil 4


Das Aus der Hütte traf Haßlinghausen ins Mark.
Im Jahr 1875 war die Herrlichkeit vorbei. Das stürzte eine ganze Region ins Elend.

In der letzten Folge haben wir gesehen, wie sich trotz aller sprachlicher, konfessioneller und kultureller Unterschiede, auch unter den Bedingungen der drückenden sozialen Verhältnisse für den größten Teil der Bevölkerung der Ämter Haßlinghausen und Sprockhövel ein weitestgehend spannungsfreies öffentliches Zusammenleben eingestellt hatte. Darüber geben auch die noch zu großen Teilen im Stadtarchiv vorhandenen regelmäßigen Amtmannberichte jener Jahre an den Landrat des Kreises Hagen ausdrückliche Auskunft. Doch sowohl der rapide technische Fortschritt als auch die krisenhafte wirtschaftliche Entwicklung, vor allem die der sog. Gründerkrise der 1870er Jahre mit der folgenden, bis in die 90er des 19. Jh. andauernden Depression, veranlassten eine tiefgreifende Veränderung auch der gesellschaftlichen Verhältnisse Sprockhövels und Haßlinghausens.

Ende der 1860er Jahre verschwinden zunächst die Namen der belgischen Arbeiter aus den Melderegistern des Amtes Haßlinghausen. Als entscheidende Ursache hierfür kann die bereits erwähnte Erfindung Lürmanns, die sog. „Schlackenform“, angesehen werden. Durch sie wurde die Arbeit der belgischen Spezialisten, die Lürmann in einem Aufsatz ironisch die überbezahlten “ Hohepriester der Öfen“ genannt hatte, grundlegend entwertet. Nun konnten auch Unerfahrene nach verhältnismäßig kurzer Anlernzeit die deutlich vereinfachten Verrichtungen am Hochofen ausführen. Hießen die Schmelzer bis dahin Compere oder Massart, so wurden nun einheimische Namen wie Böhmer, Frenz oder Hinnenberg in den Lohnlisten als – allerdings bedeutend schlechter bezahlte – Schmelzer geführt. Eine vergleichbar radikale und plötzliche Veränderung traditioneller Berufsfelder aufgrund technologischer Weiterentwicklungen hat sich erst wieder seit den 1970er Jahren mit dem Siegeszug der Computertechnik vollzogen.

Betraf die 1860er Entwicklung noch eine verhältnismäßig kleine Anzahl von Menschen, so geriet die Welt Haßlinghausens und Sprockhövels mit der endgültigen Schließung der Hütte Ende 1875 – vorübergehend war der Betrieb schon 1874 eingestellt worden – aus den Fugen. Man kann davon ausgehen, dass zu diesem Zeitpunkt die Existenz eines Drittels der Bevölkerung der beiden Ämter von der Produktion der Hütte abhängig war: Durch die Arbeit auf der Hütte, in den für diese fördernden Eisenerz- und Steinkohlezechen, in den Kalksteinbrüchen und im Fuhrwesen.

Die zeitgenössischen amtlichen Darstellungen der sich anbahnenden sozialen Tragödie spiegeln die Verzweiflung der Betroffenen wider: Auf Betriebsversammlungen boten die Arbeiter der Hütte und der Zechen mit Bitten um Aufrechterhaltung der Produktion den Verzicht auf 10% ihres ohnehin kärglichen, kaum das Existenzminimum deckenden Lohnes an.

Auch die Gewerkenversammlung der Zeche Stock & Scherenberg, Hauptlieferant der Kokskohle für die Hütte, erklärte sich einverstanden, die Kohlelieferungen um ca. 12% zu verbilligen. Noch wenige Jahre zuvor hatte die Zeche unter der Regie ihres Repräsentanten Wilhelm Hiby, einem der wenigen finanziell potenten einheimischen Bergwerksbesitzer jener Jahre, in einem bis dahin in der jüngeren deutschen Wirtschaftsgeschichte beispiellosen Fall von Vertragsbruch – die Auseinandersetzung fand als „Monstreprozeß“ auch überregional größtes Interesse – versucht, ihre monopolische Lieferantenposition zur Durchsetzung höherer Preise zu nutzen. Neben der Tatsache, dass dieses Geschäftsgebaren einen Großteil der eigenen Bergleute arbeitslos gemacht hatte, war das Resultat jahrelanger gerichtlicher Auseinandersetzung, dass Stock & Scherenberg 40.000 Taler Schadenersatz an die Neuschottland AG zu zahlen hatte, was die Zeche beinahe in den Ruin getrieben hätte. Doch auch dieses Zugeständnis, gemacht in der Erkenntnis der eigenen Existenzgefahr, konnte das Ende der Hütte nicht mehr abwenden. Unter dem Aspekt des größtmöglichen Profites waren in der Überproduktionskrise jener Jahre die „Betriebsverluste“ derjenigen Werke wie der Haßlinghauser Hütte, die ohne direkte Anbindung an Weiterverarbeitungsstufen wie Puddel- oder Walzwerken produzierten – der Grund hierfür war in Haßlinghausen die in der ersten Folge thematisierte strukturelle Wasserknappheit – zu groß geworden, als dass man deren Fortbestand hätte aufrecht erhalten wollen. Die sozialen Folgekosten von Betriebsschließungen galten (und gelten) schließlich nicht als die entscheidenden Motive betriebswirtschaftlichen Kalküls. Die Lage wurde noch verschärft durch die Bedingungen des überaus harten Winters 1875/76. In den nächsten Wochen und Monaten verließen schätzungsweise 25% der arbeitsfähigen Bevölkerung die Amtsbezirke Sprockhövel und Haßlinghausen: Vornehmlich in Richtung nördliches Ruhrrevier, allerdings ohne geringste Sicherheit auf eine menschenwürdige Existenz dort. Mit Beginn der Gründerkrise hatte sich aufgrund der allgemeinen Massenentlassungen in der Montanindustrie ein Heer von Nichtsesshaften gebildet, das in der Größenordnung einer Großstadt für lange Jahre zwischen Duisburg und Dortmund auf der Suche nach Arbeit und einem menschenwürdigen Leben hin und her vagabundierte.

Was geschah mit den vor Ort Verbliebenen? Auch hier vermitteln die amtlichen Berichte, denen sicher keine Überdramatisierung der Lage unterstellt werden kann – eher das Gegenteil- ein für Jahrzehnte trostloses, düsteres Bild. In diesen wird beispielsweise ziemlich unverblümt der Zusammenhang zwischen sozialer Verelendung und Selbstmorden, aber auch schwersten psychischen Erkrankungen, die oft mit Einweisungen in die Psychiatrie endeten, hergestellt. Die Überschuldung von etwa ¾ der Hausbesitzer, durch die sich die lokalen Amtsträger zu eher ungewöhnlichen Appellen an übergeordnete Dienststellen auf Steuererlasse für die Betroffenen genötigt sahen, ist ein prägendes Kennzeichen der Lage jener Jahre, insbesondere für die Bevölkerung Obersprockhövels , dem ehemaligen Zentrum der Eisenerzgewinnung für die Haßlinghauser Hütte. Mit der Schließung der Hütte waren sämtliche Eisenerzzechen geschlossen worden, in der Folge hatten auch die Kohlenzechen 2/3 ihrer Belegschaften entlassen. Im Laufe der folgenden Jahre sanken die Löhne der wenigen in Arbeit verbliebenen Bergleute um mehr als ein Drittel, bis schließlich Ende der 70er Jahre im Amt Sprockhövel der Bergbau für etwa 20 Jahre ganz eingestellt wurde. Die Eigentumsanteile der in Fristen stehenden Zechen sanken auf einen Bruchteil ihres früheren Wertes. Auch ehemals Wohlhabende gerieten in existentielle Bedrängnis. War bis in die 1860er Jahre der Industrialisierungsgrad des Amtes Haßlinghausen, gemessen am Verhältnis der industriell Beschäftigten zur Gesamtbeschäftigtenzahl, neben dem Dortmunds und Hördes der höchste Rheinland-Westfalens gewesen, sank mit Schließung der Hütte das soziale, ökonomische und damit auch das zivilisatorische Niveau der Region wieder zurück auf das der späten 1840er Jahre, dessen Stand in der Chronik des Sprockhöveler Amtmannes Nölle ansatzweise dargestellt ist und nicht nur den Haßlinghauser Amtmann Becker veranlasst hatte, größte Hoffnungen auf die Gründung der Haßlinghauser Hütte zu setzen.

Nun, knapp 20 Jahre später, setzten mit Blick auf den recht breit gestreuten, jedoch wenig ertragreichen bäuerlichen Grundbesitz die Behörden nur noch darauf, dass Missernten ausblieben und es den Menschen irgendwie gelänge, sich als Selbstversorger über Wasser zu halten.

Aber es gab auch Gewinner. Die in der ersten Folge erwähnten Gründer der Haßlinghauser Hütte, vor allem die Familie Born, kamen mit dem Verkauf der Aktien der Neuschottland AG zu einem auch nach heutigen Maßstäben immensen persönlichen Vermögen. Nach Abzug der Baukosten für die Haßlinghauser Anlage, der Erwerbskosten von Grundstücken für den Bau eines Puddelwerks, eines Walzwerks, einer Gießerei und einer Hochofenanlage in (Essen-) Steele, deren Baukosten und der Bezahlung der Harkortschen Grubenfelder verblieben noch knapp 800.000 Taler, so die Darlegung des damaligen kaufmännischen Direktors von Neuschottland, Wilhelm Müller.


Haßlinghausen im Jahr 1966. Aus der Luft wird die Größe des ehemaligen Hüttengeländes (Vordergrund) deutlich. (Foto: Stadtarchiv)

Mit ihrem Anteil konnte die Familie Born unter anderem zwei Privatbanken, eine in Essen, die andere in Dortmund gründen, eine Hochofenanlage in Dortmund errichten und über den in die Familie eingeheirateten Friedrich Grillo, der als einer der bedeutendsten Pioniere der Bergbauentwicklung, vor allem der Gelsenkirchens, gilt, in der Steinkohleindustrie Fuß fassen. Grillo war bis zur Verbandelung mit der Familie Born ein nach den üblichen Maßstäben wirtschaftlichen Erfolges gemessen nur durchschnittlich erfolgreicher Ofenhändler in Essen gewesen, der – so Zeitzeugen – noch selbst die Öfen bei den Kunden abgeliefert und montiert hatte. Erst der „Glücksfall“ Haßlinghauser Hütte wird ihn zu dem gemacht haben, zu dem ihn später einer der zahlreichen Biographen erhob: „Ein Mann von außerordentlicher Kombinationsgabe und weitem Blick“.

17.02.2006 Horst Dieter Konrad

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