Sandstein gilt, zumindest im heimischen Raum, als vielseitiger und beständiger Werkstoff, der bei entsprechender Behandlung und Inszenierung auch höchsten ästhetischen Ansprüchen genügt. Von der fein ziselierten Bildhauerei über kunstvolle Steinmetzarbeiten bis hin zu monumentalen, die Zeiten überdauernden Brückenkonstruktionen und Bergbaubauten – in diesem Stein steckt Erstaunliches.
Oft vergessen wir, das die bergbauliche Gewinnung des Sandsteines in Steinbrüchen sowohl vom gewonnen Werkstoff, als auch von seiner wirtschaflichen Bedeutung, ein wichtiger Teil unserer Geschichte ist.
Was heute gesprengt, zersägt, behauen und kunstvoll mit Mörtel wieder zusammengefügt einen sakralen oder weltlichen Prachtbau besonderer Güte ergibt, war einst Meeresboden, Küstenlinie oder Wurzelgrund eines urzeitlichen Waldes: Der Sandstein. Vor rund 333 bis 315 Millionen Jahren lagen große Teile des heutigen Nordrhein-Westfalen an einem tropischen Meer in Äquatornähe, dem „Karbonmeer“. Es war die Zeit der Riesenschachtelhalme und baumartigen Bärlappgewächse. Monströse Farne bildeten dichte Urwälder und vielfältiges Leben besiedelte die Flachwasserzonen von Buchten und Lagunen. Wer hier allerdings godzillagleiches Getier erwartet, liegt leider falsch. Tyrannosaurus & Co. rumpelten erst 150 Millionen Jahre später auf die Bühne der Weltgeschichte.
Flüsse und Ströme schütteten mit ihrer sandigen oder tonigen Sedimentfracht aus den Resten des „Old-Red-Kontinent“ gewaltige Deltas auf. Auf dem sich langsam senkenden Untergrund entstanden erste ausgedehnte Waldmoore, Voraussetzung für die Bildung von Kohleflözen. Als Folge des gemächlichen aber unaufhaltsamen Aufstiegs des variszischen Gebirges wandelte sich die Bildung mariner Sedimente mehr und mehr zu einer terrestrischen, limnisch-fluviatilen Sedimentation. Die Moore und Wälder wurden dabei immer wieder von gewaltigen Lagen sandiger Ablagerungen überdeckt. Jede abgelagerte Schicht erhöhte den Druck auf die darunter liegenden Sedimente, welche unter dieser Last entwässerten, verdichteten und sich nach und nach verfestigten. Der Bildungsprozess des Sandsteins war eingeleitet.
Über einen Zeitraum von mehreren Millionen Jahren baute sich so mit monotoner Beharrlichkeit eine ca. 3.000 Meter mächtige Sedimentpackung auf, immer wieder unterbrochen von insgesamt mehr als 100 Kohleflözen. Die Paläozoischen Gesteinsformationen, zu denen auch das Karbon mit seinem Sandstein gehört, hatten in den folgenden Erdzeitaltern eine wechselvolle Geschichte. Um es kurz zu machen: sie wurden von Sedimenten des späteren Perm und frühen Trias überlagert, weiter verfestigt und, besonders im Mesozoikum, einer starken Erosion ausgesetzt. Endogene Kräfte walkten die Schichten durch und falteten sie auf. Zuletzt legte die Weichsel-/Würm-Eiszeit noch einmal kräftig Hand an. Wenn auch die Region des mittleren Ruhrtales nicht von kompaktem Inlandeis bedeckt war, so bildeten Flüsse während der sich abwechselnden Kalt- und Warmphasen doch großflächige Schotterterrassen oder schnitten sich tief in den Untergrund ein. Das heutige Landschaftsbild um die Städte Herdecke, Wetter und Spürockhövel herum entstand. Und auch der oberkarbonische Sandstein war stellenweise wieder zum Greifen nah. Er hieß jetzt Ruhrsandstein, benannt nach dem Fluss, der in heutiger Zeit sein Verbreitungsgebiet von Ost nach West durchfließt.
Gegenwärtig wird Ruhrsandstein noch in wenigen Brüchen der Region als Werkstein gewonnen. In Dortmund, Herdecke und Haßlinghausen findet sich das „Kaisberg-Konglomerat“ der Unteren Sprockhöveler Schichten in abbauwürdiger Dimension und Qualität.
Die aufgrund ihrer hohen Feldspatanteile auch als „Arkosesandstein“ bezeichneten Formationen der Unteren Sprockhöveler Schichten (im Liegenden von Flöz Besserdich) treten in Wetter-Albringhausen zutage. Neuere Untersuchungen des Geologischen Dienstes NRW in Krefeld haben die erdgeschichtliche Einstufung der Sprockhöveler Schichten in das Namur C des Oberkarbons, also die Zeit vor etwa 316,5 Millionen Jahren ergeben. Als polymiktes Sediment besteht Ruhrsandstein, besonders die Albringhauser Schichten, im Wesentlichen aus Quarz, Alkalifeldspat und Plagioklas. Hinzu kommen Nebengemengteile und Akzessorien wie Hellglimmer (Serizit), Ankerit, Calcit, Dolomit und Siderit als Karbonate, Tonmineralien (vorzugsweise Chlorit), Gesteinsbruchstücke und kohlige Substanzen mit Pyrit und Markasit. Ferner sind Schwermineralien wie Turmalin, Apatit, Magnetit und Zirkon anzutreffen sowie sekundär gebildeter Limonit.
Unverwitterter Ruhrsandstein ist von hellgrauer bis bläßlich-blaugrauer Farbe. Je offener er den Atmosphärilien ausgesetzt ist, desto intensiver können eisenhaltige Bestandteile wie Siderit und Ankerit mittels Oxidation zu dem Eisenhydroxid Limonit verwittern, welches dem Stein eine gelbliche bis gelblich-braune, im Kaisberg-Konglomerat auch stellenweise rötlich-braune Farbe verleiht. Vorzugsweise Hämatit enthaltender Sandstein kann intensiv rotbraun getönt sein. Der Vorgang pflanzt sich von außen nach innen fort bis schließlich der gesamte Block durchfärbt ist. Besonders bei grobklüftigen Lagerstätten kann sich die Oxidation tief in den Berg hineinziehen. Aus bauphysikalischer Sicht ist die Oxidbildung jedoch relativ unbedenklich, da die Druckfestigkeit des gelblich colorierten Gesteins nur wenige Prozentpunkte unter derjenigen von frischen, unverwitterten Proben liegt.
Sandstein wird häufig als relativ weiches, wenig abriebfestes Sedimentgestein angesehen, welches Druck, Biege- und Scherkräften aus bauphysikalischer Sicht nur mäßigen Widerstand entgegenbringt. Für den Ruhrsandstein trifft dies nicht zu. Ganz im Gegenteil: die Horizonte der Sprockhöveler Schichten zeichnen sich zum Beispiel durch eine intensive quarzitische Zementation beziehungsweise eine starke, unmittelbare Korn-an-Korn-Bindung aus. Hoher Druck massiv auflagernder Schichten mit entsprechenden Temperaturen führte während der Diagenese zu gründlichem Eintrag von Kieselsäure in das Sediment. Die Folgen sind unter anderem eine geringe Wasseraufnahmekapazität und damit einher gehend eine ausgezeichnete Frostbeständigkeit sowie die an feinkönige Granite heranreichende Druckfestigkeit. Neben seiner Rohdichte von durchschnittlich 2,55 g/cm³ weist der Ruhrsandstein eine solide Biegezug- und Abriebfestigkeit sowie allgemein hohe Verwitterungsbeständigkeit auf. Die Summe der genannten Eigenschaften brachte ihm die respektable Handelsbezeichnung „Hartsandstein“ ein. Was den Baumeister und Statiker freut, bereitet dem Steinmetz aber auch schon mal Sorgen, denn die Ver- und Bearbeitung dieses kompakten, harten und gegen mechanische Beanspruchung weitgehend unempfindlichen Gesteins stellt gehobene Ansprüche an die Qualität der verwendeten Werkzeuge – und an die Geduld des Werktätigen.
Die Steingewinnung und -bearbeitung hat zu beiden Seiten des Unter- und Mittellaufes der Ruhr eine lange Tradition. Die Menschen erkannten schon früh die guten Eigenschaften des hiesigen Sandsteins und lernten ihn als Bau-, und Werk- und Zierstein schätzen. Gebäude aus ältester Zeit – sakrale wie profane – legen Zeugnis ab von der Jahrhunderte überdauernden Beständigkeit des Ruhrsandsteins. Seine Widerstandsfähigkeit und Farbvarianz machten und machen ihn zu einem hochgeschätzten Baumaterial im Innen- und Außenbereich. Der Schwerpunkt seiner Verwendung lag in früherer Zeit vorwiegend im Bau von Häusern, Brücken, Böschungsmauern, Abstützende Trockenmauerungen im Berg- oder im Wasserbau. Selbst die großen, zum Teil weite Talsohlen überspannenden Viadukte des Ruhrtales sind aus dem heimischen Baustoff gefertigt und fügen sich harmonisch in das Landschaftsbild ein. Heutzutage sind die Einsatzgebiete eher im Bereich der Gebäudeverschönerung, des Garten- und Landschaftsbau sowie edler Pflasterungen zu suchen. Oder bei der originalgetreuen Restauration zerstörter Schätze des Kunsthandwerks.
Damit man auch heute noch jubeln kann wie einst die Ruhrthal-Zeitung vom 22. Dezember 1906: „…Ein herrliches Gotteshaus ist entstanden, aufgebaut aus dem festen, heimischen Gestein, so dass es den Stürmen der Zeit trotzen kann. In dieser ihrer Festigkeit soll die Kirche predigen, dass auch die Kirche Jesu Christi fest gegründet ist, und dass die Stürme der Zeit, die Wogen des Unglaubens und die Pforten der Hölle sie nicht überwältigen können. Wie herrlich steigt der Turm bei aller Festigkeit doch so schlank und ebenmäßig hoch zum Himmel empor…“
Uwe Peise im April 2021