Posted by on 17. August 2022

Sprockhövels wirtschaftliche Entwicklung im Wandel der Zeiten

Die Wiege des Steinkohlenbergbaus
Geographische Lage, geschichtliche Entwicklung und zwischen diesen beiden Polen der schaffende Mensch prägten das Gesicht unserer Industrielandschaft. Wer sie betrachten will, muss zu den Anfängen zurückkehren, als sich durch das Absterben der Wälder der Steinkohlenzeit vor ca. 300 Millionen Jahren nördlich der Linie Wetter-Silschede-Haßlinghausen-Horath-Hattingen das produktive (Kohleflözführende) Karbon bildete. Aber von diesen geologischen Vorgängen soll hier nicht die Rede sein. Vielmehr wollen wir den historischen Weg verfolgen. Hierbei können wir feststellen, dass sich das Vorkommen von „carbones fossiles“ (der Steinkohle) im Kirchspiel Sprockhövel (Kirchspiel bezeichnet ursprünglich einen Pfarrbezirk, in dem die Ortschaften einer bestimmten Pfarrkirche und deren Pfarrer zugeordnet sind) schon um die Mitte des 16. Jahrhunderts urkundlich nachweisen lässt. Erwähnt werden muss in diesem Zusammenhang ein Schreiben eines Elberfelder Bürgers an Herzog Wilhelm den Reichen in Düsseldorf, in dem der Landesherr gebeten wird, die Belehnung für eine bisher nicht ausgenutzte Grube in der Bosseler Mark auszusprechen. Als herzoglicher Beamter zog daraufhin der damalige Drost des Amtes Blankenstein, Johann von der Recke, Erkundigungen über dieses Vorkommen ein und stellte auf Grund einer persönlichen Besichtigung fest, dass sich die Kohlenbank vom oberen Deilbachtal durch die Bosseler Mark und Leckebusch‘s Busch bis in die Gegend von Nieder-Dräing erstreckte. Die hierbei befragten Bosseler Bauern, „etzliche alle bedachte haus­ leuth“, erzählten ihm hierbei, 2wie sie von iren gottsaligen lieben eltern woll ehe gehort, daß lange über die hundert jare daselbst gekolt, welches dan auch“, so fügt von der Recke hinzu, woll lichtlich zu glauben stehet, dan ville erwachsene alte baum sich in dem erdtfundt, so aufgeworfen, uf den kolgruben befinden“. Aus diesen Berichten folgert Emil Böhmer mit gutem Grund, daß schon etwa um das Jahr 1425 im Raum Sprockhövel der Bergbau betrieben wurde, und zwar in der Weise, daß die Bauern die zutage tretenden Flöze ausbeuteten, um die Kohle zu Schmiedezwecken oder, falls sie geringwertig waren, zum Betrieb von Kalköfen zu verwenden. Mit dem gebrannten Kalk düngten sie ihre Äcker, „damit sie ire lenderei, so vill moglich, bessern und in faistung bringen“ konnten.

So darf man das Gebiet um Sprockhövel, Haßlinghausen und Silschede mit Recht als die Wiege des Bergbaus an der Ruhr bezeichnen. Waren doch hier infolge der Tatsache, dass die Kohlen an vielen Stellen zutage traten, die besten Voraussetzungen für den Abbau gegeben. Stollenbetriebe konnte man damals in dem genannten Raum überall antreffen, und so nimmt es nicht wunder, dass um 1750 die Kohlengruben des Amtes Blankenstein nahezu ein Viertel aller Gruben in der Grafschaft Mark ausmachen. Auch der Verfasser der Westphälischen Geschichte“, Johann Diedrich von Steinen, weiß zur gleichen Zeit hierüber Auskunft zu geben, wenn er schreibt: „Das Sprochöveler Holz ist reich von Kohlbergen, und sind derselben gemeiniglich sieben bis acht im Gange, wovon des Kirchspiels Eingesessene die meiste Nahrung haben“. Übertriebene Vorstellungen hinsichtlich der Größe dieser Gruben sind allerdings fehl am Platze. Denn die Belegschaften kamen nur selten über zehn Mann hinaus, und oft war der Eigentümer Betriebsführer, Schichtmeister, Bergmann und Kohlentreiber in einer Person. Immerhin zeigen die Aufzeichnungen aus dieser Zeit, dass der Schwerpunkt des Bergbaus damals im Magerkohlen- und Eisensteingebiet südlich der Ruhr lag, ganz im Gegensatz zu den späteren Verhältnissen, die den Ruhrbergbau vornehmlich als Tiefbau im Emscher-Lippe-Gebiet bekannt machte.

Der Bergarbeiterstand auf bäuerlicher Grundlage Anfänglich lag die Ausbeutung der Kohlenvorkommen fast ausschließlich in den Händen der Bauern, die die Kohle auf ihrem eigenen Grund und Boden schürften und sie im Rahmen ihres bäuerlichen Betriebs im Sinne der Hauswirtschaft verwerteten. Dieser Zustand blieb im Gebiet südlich der Ruhr lange Zeit vorherrschend. Als sich jedoch die brandenburgisch-preußischen Landesherrn, gestützt durch die merkantilistische Wirtschaftsauffassung, nunmehr selbst des Abbaus der Kohlenflöze annahmen und die Kohle nicht mehr wie bisher dem bäuerlichen Betrieb ausschließlich verbleiben konnte, trat auch im märkischen Raum der Stand der Bergleute immer mehr in den Vordergrund. Dies geschah vor allem zu dem Zeitpunkt, als man sich daranmachte, die Stollen weiter voranzutreiben. Für diese schwierigen Arbeiten, in denen sich die Alteingesessenen noch nicht auskannten, zog man vor allem Bergleute aus dem Harz und dem Erzgebirge heran, die mit der Sprengtechnik vertraut waren. Sie gingen, was den Sprockhöveler Raum anbetrifft, allmählich in der heimischen Bevölkerung auf. Dasselbe gilt für die Leute aus dem Waldeckschen, die nach Ausweis der Kirchenbücher in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts einen großen Teil der Zuwanderer stellten. Bei ihnen handelt es sich im Wesentlichen um nicht erbberechtigte Söhne, die südlich der Ruhr eine neue Existenzgrundlage suchten. Gerade der Genealoge/Familienforscher wird diese Tatsache bei Untersuchungen im Raum um Sprockhövel beachten müssen. Die Verbindung des Bergmanns zum bäuerlichen Lebensraum ist auch durch die Zuwanderung niemals abgerissen. Man bewohnte allgemein einen Kotten und bewirtschaftete nach der Schicht ein Stück Garten- und Ackerland!

Vom Stollenbetrieb zum Tiefbau
Haßlinghausen und Silschede wiesen um 1800 die meisten Stollenbetriebe im Raum südlich der Ruhr auf. Eine der dortigen Gruben, Stock & Scherenberg, gehörte zu den ergiebigsten der Grafschaft Mark. Von Bedeutung war auch die Zeche „Trappe“ mit ihrem Pferdegöpel, dessen Modell sich im Bochumer Bergbaumuseum befindet. Eine neue Entwicklung setzte ein, als die Gewerkschaft „Alte Haase“ in Sprockhövel als erste Zeche unseres Raumes zum Tiefbau überging. Denn das bedingte einen Rückgang der Stollenbetriebe, die danach nur noch in Notzeiten wieder in Betrieb genommen wurden. Dies geschah u. a. nach dem zweiten Weltkrieg, als man in alten Stollen wieder die Arbeit aufnahm und neue Kleinzechen wie Pilze aus dem Boden schossen. Danach erfolgte wieder eine rückläufige Bewegung, von der auch Betriebe erfasst wurden, die nach dem Krieg ausgebaut wurden und als leistungsfähig galten, wie etwa .Petrussegen“ in Oberstüter. Im Hammertal hat Elisabethenglück, hervorgegangen aus einem Stollenbetrieb, seine Stellung auch noch recht lange behaupten können. Die bedeutendste dieser Zechen, zugleich auch die südlichste Randzeche, ist indes die Gewerkschaft .Alte Haase“ am Nordrand der Gemeinde Sprockhövel, mit einer Teufe von Schacht 2 mit 344 m, modernen Aufbereitungsanlagen, einer Eierbrikettfabrik und einer bemerkenswerten Turbinenanlage.

Das in Sprockhövel geförderte Mineral ist eine verhältnismäßig sehr reine anthrazitische Magerkohle. Die Zeche, deren Grubenfeld 34 Millionen qm umfasst, wurde 1925 stillgelegt, durch die entschlossene Haltung der Belegschaft jedoch vor dem Abbruch bewahrt und 1926 von den VEW übernommen, als Kohlenbasis für das in der Nähe gelegene Gemeinschaftswerk Hattingen, mit dem die Zeche durch eine Seilbahn in Verbindung stand. Diese Vereinigung von Kohlengewinnung und -verwertung in derselben Hand ist seiner Zeit von großem volkswirtschaftlichem Nutzen gewesen. Denn nur der Besitz eigener Zechen bietet auch in Krisenzeiten eine Sicherstellung der Elektrizitätserzeugung. Zum anderen ist es entscheidend, dass infolge der Übernahme des Betriebs durch die VEW eine alte, gut ausgebaute Magerkohlenzeche erhalten geblieben ist, auf der die weithin bodenständige Belegschaft ihren Arbeitsplatz sichergestellt wusste. Der Ausbau der zu „Alte Haase“ gehörenden Schächte „Im Brahm“ und „Niederheide“ zeigte, dass die Kohlenvorräte im Raum rings um Sprockhövel um 1930 noch längst nicht erschöpft waren. So lässt sich in Sprockhövel der Weg von den Anfängen des Steinkohlenbergbaus, dessen Zeugen noch heute an vielen Stellen im Hügelland südlich der Ruhr anzutreffen sind, bis hin zu einer modernen Schachtanlage verfolgen.

Vom Bergbau zur Industrie für Bergwerksbedarf
Schon früh kam in diesem Raum die Frage auf, wie man dem Menschen bei seiner harten Arbeit unter Tage mit zweckmäßigen Geräten helfend zur Seite stehen könnte. Anfänge einer Kleineisenindustrie, die auch in dieser Richtung produzierte, gab es im Rahmen der sog. Sprockhöveler Fabrik (Einer Art Zunft) schon im 18. Jahrhundert. Der eigentliche Wandel aber setzte um die Jahrhundertwende ein, als der Bergbau inzwischen bereits weitgehend nach Norden gewandert war. Damals entwickelte sich im Sprockhöveler Raum eine Industrie für Bergwerksbedarf, die schon recht bald im gesamten Steinkohlenbergbau einen beachtlichen Ruf erlangen sollte. So blieb Sprockhövel nicht nur durch die Zeche „Alte Haase“ dem letzten großen Zeugen einer alten Bergbautradition, sondern vor allem auch durch die Industrie dem Bergbau auf Kohle und Eisenerz verbunden.

Diese Entwicklung setzte am Anfang des letzten Jahrhunderts ein, als sich verantwortungsbewusste Männer ans Werk machten, um dem Bergmann mit ihren Erfindungen zu helfen. Einer der bedeutendsten unter ihnen, Gustav Düsterloh, kam vom Fach, hatte aus einer alten Bergmannsfamilie stammend, auf „Stöcker-Dreckbank“ als Pferdejunge begonnen und war dann nach dem Besuch der Bochumer Bergschule bis zum Betriebsführer von „Alte Haase“ aufgestiegen. Es ist schwer zu sagen, wann der Grundstein für die bedeutende Sprockhöveler Bergwerksmaschinenindustrie gelegt wurde. Vielleicht begann es damit, dass Gustav Düsterloh bald nach 1900 ein deutsches Reichspatent auf einen selbstgesteuerten Pressluft-Gesteinsbohrer und auf eine Acetylen­ Sicherheitsgrubenlampe erhielt. Am 25. Mai 1906 gründete er, der übrigens den traditionellen Sprockhöveler Bergmannstag (am Tage vor Christi Himmelfahrt) ins Leben rief, eine Fabrik für Bergwerksbedarfsartikel, der 1908 die „Märkische Bohrmaschinenfabrik Gebr. Hausherr“ an der Elberfelder Straße folgte, aus der sich zehn Jahre später die Maschinenfabrik „Rudolf Hausherr und Söhne“ sowie „Hauhinco“ bildeten. 1920 wurde die Firma Wilhelm Obertacke in der Nähe des Bahnhofs gegründet, die Vorgängerin der 1937 ins Leben gerufenen „Maschinenfabrik Nüsse und Gräfer“     (später Turmag“).

Es würde in diesem Rahmen zu weit gehen, auf alle Produktionszweige der einzelnen Betriebe einzugehen. Man darf aber wohl herausstellen, dass folgende Bergbauartikel als charakteristisch für die betreffenden Firmen angesehen werden können – Düsterloh: Häspel und Winden; Hausherr: Abbauhämmer und Bohrwagen; Hauhinco: Abbauhämmer und Stahlgliederbänder; Turmag: Bohrwagen und Ventilatoren. Mit diesen Fabriken ist jedoch die Zahl der Sprockhöveler Firmen keineswegs erschöpft. So stellte beispielhaft die Kesselschmiede Förster und Co. Behälter und Kessel für Bergbauzulieferer her, Druckluftarmaturen liefert die Firma Emil Pleiger. Im Hammertal, an der Grenze nach Buchholz, arbeitete die „Gießerei Hammertal“ und die Firma Krüner und Co., die Bohrer und Spitzeisen herstellte.

Aus dieser Zusammenstellung wird ersichtlich, in welch hohem, ja nahezu ausschließlichem Maße die Sprockhöveler Industrie auf den Bergwerksbedarf ausgerichtet war. Unter den Sprockhöveler Arbeitern standen die Metallarbeiter vor den Bergleuten an erster Stelle, eine Tatsache, die den Wandel deutlich macht, der sich innerhalb dieses Raumes vollzogen hat. Pioniere auf diesem Wege waren Leute wie Gustav Düsterloh und Rudolf Hausherr, die über bergmännische Erfahrung verfügten und den Hebel in dem Augenblick richtig ansetzten, als sich der Bergbau in das Gebiet jenseits der Ruhr verlagerte und die Existenz für viele Bergarbeiterfamilien bedroht schien. Weite Anmarschwege zu den neuen Schachtanlagen im Raum Bochum-Langendreer nahm mancher Bergmann damals auf sich, um dort sein Brot zu verdienen. Als jedoch die Bergwerksmaschinenindustrie in Sprockhövel heimisch wurde, gab es neue Möglichkeiten, die man nunmehr gern ausnutzte. Sie gesellten sich zu dem Bergbau auf Zeche „Alte Haase“ und erlangten mit der Zeit einen solch guten Ruf, dass die Sprockhöveler Industrie nicht nur für das Revier, sondern für den Kohlenbergbau allgemein von großer Bedeutung war. Diese Tatsache wird deutlich unter Beweis gestellt durch den verhältnismäßig großen Anteil Sprockhöveler Firmen an den jeweiligen Bergwerksausstellungen. Der Name „Sprockhövel“ hatte hier weltweit eine Bedeutung, die man dem Ort von seiner Zeit rund 9 000 Einwohnern sonst kaum zugestehen würde. Dem Bergbau und der Bergwerksmaschinenindustrie verdankte somit die Gemeinde Wohlstand und Blüte. Durch beide Komponenten ist ihre Entwicklung maßgeblich beeinflusst worden.

Literaturverzeichnis:

Böhmer, Emil: Als der Bauer noch Bergmann war, in: Heimat­blätter für den Ennepe-Ruhr-Kreis, I. Jg., Nr. 3 (1950)

Brepohl, Wilhelm: Der Aufbau des Ruhrvolkes im Zuge der Ost-West-Wanderung, in: Soziale Forschung und Praxis, Band 7, Recklinghausen 1948

Eversberg , Heinz: Zwischen lsenberg und Blankenstein, in: Heimalbl. f. d. Ennepe-Ruhr-Kreis, Nr. 8, 9, 10 (1950/51). ver­öffentlich auch in der Hattinger Zeitung, „Die Heimat am Mit­tag“, vom 28. Januar 1950 (in Fortsetzungen). Zum Thema der geogr. Heimatkunde d. Hattinger Raumes siehe auch „Hatt. hei­matkdl. Schriften“

Eversberg , Heinz: Lagerbuch der Sprockhövelschen Metall- und Eisenfabrik, 1796-1807, in: Hattinger heimatkundliche Schriften 6 (1958)

Lehmhaus, Fritz: Die ehemalige Sprockhöveler Kleineisen­waren-Industrie, Sprockhövel 1930

Mews, Karl: Blankensteins wirtschaftliches Leben im Wandel der Zeiten, in: Alt-Blankenstein, ein Heimat- und Festbuch, hrsg. zur 700-Jahrfeier, Blankenstein 1926/27, S. 134 ff.

von Steinen, Johann Diedrich: Westphälische Geschichte, Teil III, Lemgo 1757, S. 1166 lf.

Vereinigte Elektrizitälswerke Westfalen (Sammelband), Dortmund 1930

Festschrift zum 40jährigen Bestehen der Fa. Gustav Düsterloh, (1906-1946), Hattingen 1947